Auto steuert sich selbst mit PC-Hilfe

Die Suche nach dem goldenen Vlies

Drei Bastler von der Universität Parma und ihre Odyssee mit dem vermutlich billigsten Autopiloten der Welt.

Ein Bericht von Andreas Adam. Foto: Melegari Foto

ra3001.gifAngesichts des klapprigen Lancia Themas allein hätte man dem Vehikel kaum zugetraut, ohne Abschleppwagen aus der Garage zu kommen. In den Winkeln der Windschutzscheibe hängen zwei Schwarzweißkameras, die beobachten die Straße. Im Kofferraum tut ein ordinärer Computer vom Typ „Pentium 200 MMX“ seine Arbeit und sagt wohin die Reise geht. Ein Elektromotor über dem Fußraum des Fahrersitzes dreht am Steuerrad, das war’s: billig, billig und nochmals billig. Inklusive Auto soll das ganze etwas mehr als 400 000 Franken gekostet haben. „ARGO“ heißt das Projekt an der Universität Parma, so wie das Schiff von Jason aus der griechischen Sagenwelt, der damit auf die Suche nach dem goldenen Vlies ging. „Gold“ ist der Name des Systems, das das selbständige Fahren eines Autos ermöglichen soll (Generic Obstacle and Lane Detection). Der Kapitän im Lancia Thema heißt Dr. Ing. Alberto Broggi, ein 31jähriger Dozent im „Dipartimento di Ingegneria dell’Informazione“. Zusammen mit zwei anderen Jungforschern, den Ingenieuren Massimo Bertozzi, 32, und Alessandra Fascioli, 31, hat Broggi den Zauberwagen auf die Räder gestellt, fast wie Q. in den James-Bond-Filmen. Hintergrund des Autopilotprojektes war es in erster Linie, mit möglichst wenig Geld etwas Fahr- und Vorzeigbares auf die Beine zu stellen. Es sollte also von Anfang an kein millionenteures High-Tech-Gerät à la 007 werden. Die beiden handelsüblichen Kameras hinter der Windschutzscheibe sondieren die Straße und behalten Mittel- und Seitenstreifen der „Strada“ im Auge. Die beiden Kameras wurden kalibriert und synchronisiert, so daß immer entsprechende Bildpaare an den Rechner im Kofferraum geliefert werden können, allerdings ohne Farben, was sich noch als problematisch herausstellen soll.
Aufgrund der enormen Datenmengen, die die Kameras auch in Schwarzweiß-Optik noch liefern, insbesondere dann, wenn ständig Hindernisse beispielsweise in Form von anderen Fahrzeugen auftauchen, bedarf es einer besonderen Technologie. Hier kommt das eingangs erwähnte GOLD-System zum Einsatz: Die räumliche Sicht mit Nahe und Ferne, die Bildtiefe also, verschwindet, sie wird quasi herausgerechnet. Dadurch ergibt sich für den Pentium PC im Kofferraum des Lancia eine besondere Form der Vogelperspektive: Mittel- und Seitenlinie laufen parallel, damit ist für den Compi wieder alles in Ordnung. Die Autos sehen allerdings etwas geplättet aus.
Zur Kontrolle befindet sich in Höhe des Autoradios ein kleiner Monitor, auf dem die Insassen beobachten können, was der Autopilot zur Zeit gerade fabriziert. Dort erscheint übrigens nicht das entstellte Computerbild, sondern wieder die Kameraperspektive mit räumlicher Tiefe. Zudem wird dort angezeigt, was der Rechner erkannt hat, sowohl Seitenlinien als auch Hindernisse. So kann der Autopilot die Spur wechseln und überholen. Falls Fehler auftreten, kann der menschliche Fahrer jederzeit per Joystick wieder das Kommando übernehmen.
Der gebastelte Navigator bietet drei Fahreinstellungen:

    1. Manuelles Fahren: Das System berät den menschlichen Fahrer, der selbst lenkt. Falls gefährliche Situationen festgestellt werden, warnt ARGO den Fahrer mit optischen und akustischen Signalen;
    2. Überwachtes Fahren: Das System warnt den Fahrer mit optischen und akustischen Signalen. Falls gefährliche Situationen auftreten, übernimmt ARGO die Kontrolle über das Fahrzeug und steuert weiter;
    3. Automatisches Fahren: ARGO fährt selbständig, erkennt Linien und Hindernisse. Spurwechsel können ausgeführt werden.


Millemiglia – 1 800 Kilometer Testfahrt quer durch Italien

Der Wagen ist auf kurzen Strecken bereits ausgiebig getestet worden. Als nächstes stand Anfang Juni die Härteprobe auf dem Programm – der verkehrstechnische Ernstfall sozusagen. 1 800 Kilometer sollten es sein. Am Montag, den 1. Juni ging’s los in Parma, insgesamt 245 Kilometer nach Turin. Dann am zweiten Tag zunächst 175 km über Mailand nach Pavia und dann wieder über Mailand und Padova 340 km nach Ferrara. Am Tag drei der ARGO-Odyssee fuhren unsere Helden über Bologna nach Ancona (260 km) und am vierten Tag auf der längsten Etappenfahrt über Pescara nach Rom (365 km). Am fünften Juni folgte Florenz (280 km) und am 6. Juni war es vollbracht: Nach einer letzten 195-Kilometer-Etappe fuhr der Wagen unbeschadet wieder in Parma vor.
Wir erinnern uns der Schwarzweißkameras. Solange Mittelstreifen und Seitenstreifen für den Pentium einträchtig nebeneinander liefen, lief ARGO wie am Schnürchen – quasi auf aufgemalten Schienen. Dann: Vorsicht Baustelle! Gelbe Linien, Querlinien, alte Markierungen, neue, und Alberto Broggi mußte schnell zum Joystick greifen. Das Durcheinander an Linien sorgte für Verwirrung im Gehirn des Lancias. Welcher Linie sollte das Auto folgen? Bei Farbkameras wäre ARGO zumindest nicht den gelben nachgefahren. Ansonsten hält sich die Konstruktion wirklich ganz gut in der Spur – bis zum nächsten Tunnel oder besser gesagt, bis das Auto wieder herausfährt. Dann sind die beiden Kameras schlichtweg geblendet, „ARGO benötigt in diesen Fällen sozusagen eine Sonnenbrille, die bei Bedarf auf- und abgesetzt werden kann“, so Broggi. Dieses Problem kennt der Konstrukteur prinzipiell bei wechselnden Lichtverhältnissen.
Auch bei nasser Fahrbahn bräuchte das Vehikel einen Blindenhund. Dann muß der menschliche Pilot wieder ans Ruder, gleich nach der nächsten Baustelle darf dann wieder der 200er Pentium PC denken und lenken. Auch bei Richtungspfeilen auf der Straße braucht das System etwas „Bedenkzeit“ bis das Linien- und Fahrbahnmarkierungssammelsurium nach einem kurzen Schlenker zugeordnet ist und die Fahrt weitergeht.
Ohne Zweifel sind dies noch große Mankos. Doch man sollte das Budget bedenken. Im wesentlichen sind die Kritikpunkte auf die finanzielle Ausgangsbasis des Projektes zurückzuführen, vor allem durch Farbkameras ließe sich die Fehlerquote erheblich reduzieren. 1 800 Kilometer quer durch „bella Italia“ – in einem umgebauten klapprigen Gebrauchtwagen mit Autopiloten. Wer hätte das noch vor wenigen Jahren gedacht?
Lang- bis mittelfristiges Ziel ist es übrigens nicht, den Fahrer vollständig zu ersetzen, sondern zu unterstützen. Damit soll vor allem die Sicherheit im Straßenverkehr gefördert werden. Bei plötzlicher Übelkeit oder einem Herzanfall könnte ein solches System gute Dienste leisten. Von einer Serienproduktion ist die Idee allerdings noch weit entfernt, sagt Broggi, doch vielleicht könnte in zehn bis 15 Jahren eine Serientauglichkeit erzielt werden.

Infos: a.broggi@computer.org